Nicht unvoreingenommen durch die Diskussion um die Mitgliedschaft des Schriftstellers Günter Grass bei der Waffen-SS habe ich mich auf dessen neues Buch eingelassen, von dem er in einem Interview sagt, dass es sehr erhellend wirke im Hinblick auf das derzeitig vieldiskutierte Outing.
Ist das tatsächlich so?
Bevor ich dieser und anderen Fragen nachgehe, möchte ich allerdings auf die hübschen Illustrationen im vorliegenden Buch hinweisen. Grass variiert das Thema " Beim Häuten der Zwiebel" zeichnerisch brillant und erfreut insofern immer wieder das Auge des vom Text gepeinigten Lesers. Wirklich wunderschön, diese im herbstlichen Rot-Ton gehaltenen " Allium-cepa-Entblätterungsimpressionen"! Deshalb auch die drei Sterne für der Bewertung des Artikels!
Der Nobelpreisträger lässt den Leser wissen, dass Literatur vom " übrig gebliebenen Knopf, dem entrosteten Hufeisen eines Ulanenpferdes, von des Menschen Sterblichkeit und also von verwitterten Grabsteinen lebt" ( vgl. S. 285) und hat sein jüngstes Werk dieser sich selbst verordneten theoretischen Vorgabe entsprechend konzipiert.Das hat zur Folge, dass er Reflexionen, im speziellen Selbstreflexion vermeidet und es - schreibtechnisch gekonnt - schafft, durch , wie ich finde, Vernebelungstaktiken, Plattitüden, Kitsch, Trivialität und Geschwätzigkeiten aller Art den Leser zum Narren zu halten.
Der 1927 geborene Autor spürt seiner Kindheit und Jugend in Danzig nach, erzählt im Stile Grimmelshausens von der Soldatenzeit, Gefangenschaft sowie dem sich daran anschließenden Nachkriegtohuwabohu und berichtet alsdann ausführlich von seinen Entwicklungsjahren als Grafiker sowie als bildender und schreibender Künstler. Diese Jahre finden offenbar ihr Ende in der Veröffentlichung der " Blechtrommel" und hier konkret in der diesbezüglichen Präsentation bei der Frankfurter Buchmesse 1959.
Grass beklagt die häusliche Enge in Danzig. Seine Eltern, sie betreiben ein Kolonialwarengeschäft, als auch seine Schwester und er leben gemeinsam in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, welcher er sich mental entzieht, indem er pausenlos liest." Lesefutter" erhält er von seiner musisch interessierten, kaschubischen Mutter oder von seinen Klassenkameraden. Sein Sinn für Gerechtigkeit verlagert der Danziger Hitlerjunge - nach eigenen Worten- in mittelalterliche Rückzugsgebiete seiner Lektüre und blendet , wie es scheint, die Judenverfolgung im Nazideutschland als zum Himmel schreiendes Unrecht gedanklich aus. Der ehemalige Messdiener wendet sich schon früh vom katholischen Glauben ab, ohne allerdings Zusammenhänge zu den Atheismus-Doktrin der Naziideologie herzustellen, an der bekanntermaßen SS-Mitglieder besonders vehement festgehalten haben. 17 jährig zieht Grass in den Krieg, wird Mitglied der Waffen-SS , von deren ideologischen Zwecken er nichts gewusst haben will und die er primär als besonders elitären, militärischen Verbund interpretierte, dem anzugehören- aus damaliger Sicht- kein negativer Beigeschmack anlastete. In der Lausitz gelangt der naive Kämpfer , der im Habitus an Simplex, den Jäger von Soest, erinnert, ins Trommelfeuer der Stalinorgeln. Gleichwohl will er weder bei diesem noch bei anderen Scharmützeln zum Gewehr gegriffen haben. Zielen auf Menschen , so der Autor, habe er von früh an gelernt, dennoch sei es nie zu einem Schuss gekommen( vgl. S. 427).Ob dieser Satz einen sophistischen Unterton hat, vermag ich derzeit noch nicht ausloten. Grass gelangt , nachdem er durch Granatsplitter verletzt und in Marienbad behandelt wurde, in amerikanische Gefangenschaft, wo er mit einem frommen Kameraden, namens Joseph, um ihrer beider Zukunft geknobelt haben will. In diesem bayerischen Gefangenschaftskumpan glaubt Grass dem heutigen Papst Benedikt begegnet zu sein. In der Folge treibt der sich im Ketzergewand offenbar wohlfühlende Autor den frommen Joseph gemeinsam mit dem Blechtrommler Oskar Matzerath, den Grass wie eine Monstranz vor sich herträgt, durch den weiteren Text. Auf diese Weise will er offensichtlich von seiner SS-Mitgliedschaft ablenken. Den Tatbestand relativierend, duckt der vormalige SS-Mann sich weg , indem er unter die langen Röcke Benedikts kriecht und sich zusätzlich an Oskars kurzem Mäntelchen festklammert , um so fortwährend sein literarisches Schwergewicht in Erinnerung zu bringen. Eine andere Erklärung konnte ich für dieses geradezu gebetsmühlenhafte Erwähnen der beiden Personen, die enervierend wie Moorhühner in seinen Sätzen auftauchen, leider nicht finden.
In seiner Gefangenschaft will Grass übrigens das erste Mal in seinem Leben mit Rassismus konfrontiert worden sein, der ihm im Verhalten weißer amerikanischer Soldaten gegenüber deren schwarzen Kameraden unangenehm auffällt. Rassismus im Nazi-Deutschland hat es für Grass zu diesem Zeitpunkt offenkundig noch nicht gegeben. Anstelle nun ein langes Reflexionskapitel folgen zu lassen, schwadroniert der Nobelpreisträger jetzt in epischer Breite von den Kochrezepten eines " Beutedeutschen" , die jener ihm während der Gefangenschaft im Rahmen eines Kochkurses anvertraut hat und die in dem Fazit gipfeln, dass eine Gans , die ohne Beifuß zubereitet ist, nicht schmeckt!
Eine Gewaltszene unter Kriegsgefangenen skizziert Grass nur kurz, wobei er sich nicht erinnern kann, ob er in das Geschehen involviert war. Blindstellen- er nennt sie so- dieser Art finden sich häufiger in seinem frühen Lebensbericht. Ganz anders funktioniert sein Gedächtnis nach dem Kriege , wo er zunächst hier und da jobbt, um nicht zu verhungern. Jetzt zeichnet er von sich das Bild eines Weiberhelden, erinnert sich minutiös an Begebenheiten während der Steinmetzlehre und seines Studiums der Grafik und Bildhauerei an der Düsseldorfer Kunstakademie, wie auch der Zeit als Schüler der Hochschule für Bildene Künste in Berlin. Er berichtet von seinen Reisen nach Sizilien und Paris und seinen ersten , in der Schriftsteller-Szene beachteten Kurzprosa, dem Entstehen der Blechtrommel in Paris, der Ehe mit der Schweizerin Anna Schwarz und der intellektuellen Freundschaft zu Paul Celan.
Aus nachwachsender Scham habe er all die Jahre seine Mitgliedschaft bei der SS verschwiegen. Dies aber ist bei einem politisch engagierten Schriftsteller, von dem man weiß, dass er gerne ein offenes Wort im Munde führt, kaum nachvollziehbar.
Ich muss nicht wissen, wie häufig Günter Grass Frauen " befingert" hat( seine Diktion). Er braucht mir auch nicht mitzuteilen , ob er seiner Anna dereinst eine rote Rose an einem Kirmesstand, irgendwo in einem hinterwäldlerischen Dorf in Bayern, als Liebesgabe geschossen hat. Das hätte ruhig weiterhin sein Geheimnis bleiben können! Wissen jedoch möchte ich, wie Grass über das kriminelle Verhalten der SS-Schergen wirklich denkt und wie er damit fertig wird, zu diesem verbrecherischen Haufen ,wenn auch nur formell- dazugehört zu haben. Genau dies will ich wissen, nachdem er sich freiwillig geoutet und bei mir eine intellektuelle Sinnkrise ausgelöst hat. Das vorliegende Buch gibt leider keine zufriedenstellende Auskunft!
Aber lesen Sie bitte selbst!
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