"Wenn wir unseren Leidenschaften widerstehen, so geschieht es mehr infolge ihrer Schwäche als infolge unserer Stärke."
Der vorliegende Film " Anna Karenina " beruht auf dem gleichnamigen Roman von Leo Tolstoi (1828-1910), der nach meiner Meinung der beste Roman der Weltliteratur ist.
Kann man einen solchen Roman - er umfasst mehr als 1000 Seiten und keineswegs nur einen Handlungsstrang - filmisch umsetzen?
Ja man kann, sofern man selektiert und wenn man wohlüberlegt selektiert kommt sogar ein guter Film dabei heraus, wie das Beispiel zeigt.
Der Regisseur Bernard Rose hat in seiner Buchumsetzung der Liebesgeschichte zwischen Anna Karenina und Wronskiy den größten Raum gegeben.
Die schöne Aristokratin Anna Karenina ( Sophie Marceau) ist Gattin eines wesentlich älteren Mannes aus höchsten Gesellschaftskreisen. Sie hat einen Sohn, den sie abgöttisch liebt. Die Beziehung zu ihrem Ehemann ist aber ohne Liebe und gänzlich ohne Leidenschaft.
Anna lebt mit ihrem Mann in Petersburg und reist zu Anfang des Films von dort nach Moskau, um ihre Verwandtschaft zu besuchen. Bereits auf dem Bahnhof kommt es zu einem zufälligen Blickaustausch zwischen ihr und dem attraktiven Grafen Wronskiy , der dort seine Mutter vom Zug abholt. Selbst Zuschauer, die das Buch nicht kennen, ahnen dass es zwischen diesen beiden Personen schicksalhafte Verstrickungen geben wird. Dies wird unterstrichen durch einen Unfall eines Bahnarbeiters, der genau in dem Moment als sich die Blicke der beiden treffen vom Zug überfahren wird
Auf einem Ball in Moskau begegnen sich die zwei Menschen erneut. Kitty die jüngere Schwester von Annas Schwägerin ist in Wronskiy verliebt, doch dieser hat nur Augen für Anna.
Die Szene , die im Buch wie folgt beschrieben ist , wurde im Film 1:1 umgesetzt:
" Anna lächelte und er lächelte auch. Sie war nachdenklich und er wurde ernst....Sie war entzückend in ihrem schwarzen Kleid, entzückend waren ihre vollen Arme mit den Armbändern, entzückend der feste Hals mit der Perlenkette, entzückend die Löckchen der in Unordnung geratenen Frisur, entzückend die leichten , anmutigen Bewegungen der kleinen Füße und Hände, entzückend dieses schöne Gesicht in seiner Lebendigkeit; aber es war etwas Schreckliches und Grausames in all dem Liebreiz....."
Die beiden tanzen miteinander und für alle sichtbar geht von diesem Paar eine faszinierende Erotik aus. Anna und Wronskiy ziehen sich magisch an. Sie können einander nicht entkommen. Ihre Sehnsucht fordert Tribut und sie sind bereit ihn zu zahlen.
In Petersburg begegnen die beiden sich erneut. Sie kommen sich körperlich nah und können von da an nicht mehr voneinander lassen. Da die beiden offen mit ihrer Liebe umgehen, ist der Eklat mit Karenin unausweichlich. Er trennt sich von Anna und verwehrt ihr ihren geliebten Sohn.
Nach einer Fehlgeburt reist sie mit Wronskiy nach Italien und verlebt dort ihre glücklichste Zeit mit ihrem Geliebten. Dieser Part ist im Film recht knapp abgehandelt. Die Bilder allerdings sind so eindringlich, dass man spürt, dass von Stund an die Beziehung zu kippen beginnt.
Wieder zurück in Russland beginnt Anna zu leiden, denn sie darf ihren Sohn nach wie vor nicht sehen und wird gesellschaftlich gemieden. Diese Tatsache verändert ihre Persönlichkeit. Sie dopt sich mit Opium und verfängt sich in Eifersuchtsszenen.
Wronskiy hat gesellschaftliche Verpflichtungen und er möchte die Gesellschaft nicht noch mehr verärgern. Er wartet auf die Akzeptanz der Scheidung seitens Karenin, denn er will Anna heirateten. Anna begreift das nicht. Weil sie isoliert ist, erwartet sie von Wronskiy , dass er sich gesellschaftlich ebenfalls abschottet.
Im Buch liest sich das so: " Meine Liebe wird immer leidenschaftlicher und egoistischer und seine Liebe erlischt immer mehr und deshalb müssen wir uns trennen ", dachte sie. " Da ist nichts zu machen. Er ist mein ein und alles, aber ich verlange völlige Hingabe vom ihm. Er aber strebt immer mehr danach, sich von mir zu lösen. Vor unsrer Verbindung gingen wir einander entgegen, aber dann gingen wir unaufhaltsam nach verschiedenen Seiten auseinander. Und das lässt sich nicht ändern. Er sagt mir, ich sei sinnlos eifersüchtig, und ich habe mir das auch gesagt, aber das ist nicht wahr. Ich bin nicht eifersüchtig, ich bin unbefriedigt. Aber.." Sie öffnete den Mund und setzte sich im Wagen auf einen anderen Platz, so sehr erregte sie ein neuer auftauchender Gedanke. " Wenn ich etwas anderes sein könnte als die Geliebte, die nur leidenschaftlich nach seinen Liebkosungen verlangt! Aber ich kann und will nichts anderes sein. Und ich rufe durch mein Verlangen nach Liebe nur Abneigung bei ihm hervor und er erweckt in mir Zorn und anderes kann es auch nicht sein....."
Anna erkennt Wronskyis Liebe nicht mehr. Sie transformiert die gesellschaftliche Ablehnung auf ihn und glaubt, dass er sich von ihr trennen möchte, aber dem ist nicht so.
Diese Szene wird besonders gut im Film dargestellt. Man leidet mit der Protagonistin, die vor Kummer keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Anna ist verwirrt.
Sie möchte nicht mehr leiden, deshalb erliegt sie der Magie des Todes:" ...sie wandte die Augen nicht von den Rädern des herankommenden zweiten Wagens ab. Und genau in dem Augenblick , als die Mitte zwischen den Rädern ihr gegenüber war, warf sie die rote Reisetasche fort, drückte den Kopf zwischen die Schultern , ließ sich unter den Waggon auf die Hände fallen und kniete nieder, mit einer leichten Bewegung , als wollte sie gleich wieder aufstehen. Aber im selben Augenblick erschrak sie über das, was sie tat. " Wo bin ich? Was tue ich? Wozu?" Sie wollte aufstehen, sich zurückwerfen, aber etwas Riesiges, Unerbittliches stieß gegen ihren Kopf und schleppte sie am Rücken mit fort. " Herr Gott, vergib mir alles! " sagte sie, als sie fühlte, dass kein Widerstand mehr möglich war."
Diese letzte entscheidende Szene korrespondiert im Film vortrefflich mit der Anfangsszene und verdeutlicht, dass die Akteurin im Grunde keine Selbstmörderin ist. Sie sucht den traumloser Schlaf aber nicht den Tod.
Der Regisseur zeigt auch andere, weniger leidenschaftlich Liebesbeziehungen, wie etwa jene zwischen Konstantin Levin und Kitty, die als lebbarer dargestellt werden. Zu viel Leidenschaft schafft Leid. Eine Botschaft, die man ungern zur Kenntnis nimmt, obschon man weiß, dass sie der Wahrheit entspricht.
Der Film ist mit der wundervollen Musik Peter Tschaikowskys unterlegt, die die Emotionen der Protagonisten vortrefflich spiegelt.
Der Reichtum des russischen Adels zu Ende des vorletzten Jahrhunderts wird anhand der Ausstattung der Räume und der Kleidung, sowie des Schmucks der Damen hervorragend visualisiert und es wird auch der Gegensatz zu den armen Bauern auf dem Land gezeigt.
Dass dieser krasse Gegensatz zu gesellschaftlichen Problemen führen musste, wird immer wieder verdeutlicht, wenn kommunistisches Gedankengut gestreift wird.
Der Film ist unabhängig von seinem ergreifenden gedanklichen Inhalt ein visuelles Fest aus der zaristischen Zeit.
Bonusmaterial ist vorhanden. Die Bild und Tonqualität sind bestens.
Empfehlenswert.
PS: Das Zitat in der Kopfzeile stammt aus der Feder von F.de La Rochefoucauld
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