Rezension: Geo-Epoche: Venedig

Die morbide Schöne
Heft 28 von Geo Epoche ist das beste Magazin für Geschichte , das ich bislang in den Händen hatte. Allein die vielen Bilder von dem Venedig längst vergangener Tage lassen den Kauf der Zeitschrift lohnenswert erscheinen. Bilder der Palazzi wie auch der einstigen Prunkgondeln, der Koggen , des Lebens auf den Kanälen, des Treibens auf dem Markusplatz, eine Buchillustration , gemalt um 1400, welche als eine der frühesten bildlichen Darstellungen Venedigs gilt, die zumeist in Schwarz und Rot, hin und wieder auch in Grün prächtig bekleideten Kaufleute der Renaissance, die Ablichtungen verschiedener Gemälde Tizians , weiterhin diverse Bilder über die Auswirkungen der großen Pest-Epidemien und dem fürchterlichen Massensterben in der Folge, aber auch die schöne Ansichten vom amourösen Leben zu Zeiten Casanovas bis hin zur morbiden Kulisse dieser Stadt im vorletzten Jahrhundert machen das Magazin zu einem Augenschmaus, den man sich nicht entgehen lassen sollte.

Die ausführlichen, hervorragenden Texte veranlassen den Leser letztlich die Nacht zum Tag zu machen und erst dann die Augen zu schließen, wenn er auf Seite 178 erfreut den Hinweis auf das kommende Heft zu Kenntnis genommen hat.



Die Anfänge Venedigs reichen zurück bis ins erste Jahrtausend nach Christus. Damals war das Gebiet noch völlig versumpft. Zu Zeiten der Völkerwanderung der Germanen fallen diese immer wieder in Italien ein. Die Menschen fliehen auf die Inseln einer Lagunenlandschaft vor der Adriaküste. Die Siedlungen, die dort entstehen, werden von den Angreifern im Jahre 810 alle erobert, nur ein kleines Archipel im Süden nicht. Auf dieser schlammigen Insel entsteht in den nachfolgenden Jahrhunderten die Metropole Venedig. Schon um 840 leben dort etwa 30 000 Menschen. In den folgenden Jahrzehnten entwickelt sich die Stadt zu einer bedeutenden Handelsmacht. Der Güterverkehr auf den norditalienischen Flüssen lässt die Kaufleute Venedigs wohlhabend werden. Lange dauert es nicht bis Kaufleute wie Marco Polo die Ferne fokussieren. Dieser wird 1265 auf der Suche nach neuen Märkten bis nach China vordringen.

Berichtet wird auch von einer der größten politischen Zusammenkünfte im Mittelalter, die in Venedig stattfindet. Kaiser Friedrich I Barbarossa verhandelt mit Vertretern von Papst Alexander um den Frieden. Nach langen Verhandlungen belohnt der Heilige Vater auf dem Markusplatz Barbarossa aufgrund von dessen Unterwerfungsgeste damit, dass er die Exkommunikation Friedrichs aufhebt.

Interessant ist der Beitrag von Jens Rainer Berg über das politische Agieren des Dogen Enrico Dandalo, der die Republik Venedig zur Großmacht formte. Im Alter von 95 Jähren fährt er im Jahre 1202 an der Spitze einer mächtigen Kreuzfahrerflotte in Richtung Osten. Anstelle des Heiligen Landes erobert er das Kaiserreich von Byzanz und hinterlässt den Venezianern ein riesiges Kolonialreich im Mittelmeer, das den sagenhaften Reichtum der Stadt um ein Vielfaches heben wird.

Im übernächsten Beitrag dann erfährt man , dass um 1430 nirgendwo im Abendland so viele Kostbarkeiten aus Orient und Okzident umgeschlagen werden wie in Venedig. Schiffskonvois fahren im Auftrag des venezianischen Senats nach Flandern, in das schwarze Meer und in die Levante. Am Beispiel des Kaufmanns Andrea Brabarigo wird verdeutlicht , was sich ein Händler einfallen lassen musste, um trotz der großen Konkurrenz unter den Kaufleuten im Geschäft zu bleiben.

Über die Geleitzüge der Kaufleute, um sich vor Überfällen zu wehren, wird in diesem Zusammenhang geschrieben, auch über die doppelte Buchführung, die ein Muss für venezianische Kaufleute war. Jeder Geschäftsvorgang musste in getrennten Büchern sowohl chronologisch als auch in zwei Sachkonten verbucht werden. Nur so war es möglich einen Überblick über die Warenströme zu behalten.

Ein hochinteressanter Beitrag des Kunsthistorikers Kia Vahland befasst sich mit dem großen venezianischen Maler Tizian, der u.a. den machtbewussten Dogen Andrea Gritti, den reichen Kunsthändler Jacobo Strada und den Dichter Pietro Aretino portraitiert hat und wunderschöne sakrale Bilder malte, bei denen er nicht selten mehr als 40 Schichten auftrug, um die Nuancen ganz genau wiederzugeben. Kaiser Karl V wurde häufiger von Tizian gemalt. Bei dem im Heft abgelichteten Bild sitzt der Kaiser Tizian in Augsburg( vermutlich bei den Fuggern) Modell.

Das Magazin beschäftigt sich auch detailliert mit den Palazzi. Die Patrizier der Serenissima( la Serenissima Rebublicca di san Marco= die Allerdurchlauchteste Republik von San Marco) konkurrierten seit dem 11. Jahrhundert darum ,wer den prächtigsten Palast errichtete.

Im unteren Teil der Paläste befindet sich jeweils das Warenlager, oben das Wohnhaus. Dieses Prinzip veränderte sich über viele Jahrhunderte nicht. Nicht selten muten die Palazzi beinahe orientalisch an, weil man sich künstlerisch bei der Ornamentkunst Konstantinopels Anleihen nimmt. Später werden diese Elemente mit gotischen kombiniert. Beim" Haus aus Gold" werden zwischen 1421 und 1436 23 000 Bogen Blattgold verarbeitet.

Im Beitrag" Tod in der Lagune" kommt die angebliche Verschwörung des spanischen Botschafters gegenüber dem Rat der Zehn zu Sprache. Venedig hatte damals schon lange eine oligarchische Verfassung herausgebildet. Um die Macht der Dogen einzuschränken wurde 1172 der " große Rat" ernannt, dessen Mitgliedschaft nur den ältesten Adelsfamilien zustand. Als der eigentliche Ausschuss wurde 1310 der Rat der Zehn" eingesetzt. Man liest , dass die wichtigsten Prozesse der Serenissima hinter den Mauern des Dogenpalastes geführt wurden. Die" Nobile", als auch viele hohe Würdenträger erfahren nichts von diesen Geheimverfahren. In der Stadt herrscht zu jenem Zeitpunkt ein perfides Spitzelsystem, das das Mistrauen unter den Bürger wachsen lässt. So gab es Briefkästen ,in welchen jeder Venezianer anonyme Anzeigen einwerfen konnte. Die Ermittler lasen diese täglich und begannen dann nicht selten mit Nachforschungen.

Obschon Venedig sich stets auf die Pest-Epidemien vorbereitet hatte, wurde die Stadt immer wieder von dieser Geisel der Menschheit erschüttert. Allein zwischen 1348 und 1575 wurde Venedig 20 mal heimgesucht. Zehntausende von Venezianern starben damals. Der Beitrag" Das große Sterben" widmet sich dieser Plage, welcher auch Tizian im Jahre 1576 vermutlich zum Opfer fällt. Allein im November 1630 wurden 14465 Menschen dahin gerafft , im Jahre 1630 starben insgesamt 1/3 der Bevölkerung Venedigs.

Fast zu Ende des Magazins liest man von dem 1725 geborenen Schürzenjäger und Glücksspieler Casanova und seinen Abenteuern. Zu jenem Zeitpunkt erfreuten der Dichter Goldini und der Komponist Vivaldi die damalige Gesellschaft Venedigs durch ihre herausragenden Künste.

Casanova war damals ein Held in Europa aber ein Niemand in seiner Heimatstadt. Die Gründe hierfür macht der höchst amüsant zu lesende diesbezügliche Beitrag deutlich.

Johann Wolfgang von Goethe, Richard Wagner und Thomas Mann sind berühmte Venedig-Touristen vergangener Tage. Heute besuchen mehr als 10 Millionen Menschen diese Stadt jährlich. Touristen sind klug beraten vorliegendes Magazin im Vorfeld zu lesen, denn durch die Lektüre dieses Heftes wird die morbide Schöne erst wirklich lebendig.

Empfehlenswert!




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