Hatem und Suleika, ein historisch-poetisches Paar!,
Dagmar von Gersdorff befasst sich im vorliegenden Buch mit dem Leben der deutschen Dichterin und Gesangslehrerin Marianne von Willemer. Dabei beleuchtet sie vor allem deren Beziehung zu Johann Wolfgang von Goethe. Ihm stand Marianne bis zu seinem Ende, gut eineinhalb Jahrzehnte, nicht nur geistig nahe.
Marianne ist die uneheliche Tochter eines Tanzlehrers und einer Schauspielerin. Gemeinsam mit ihrer Mutter tingelt sie durch halb Europa und steht schließlich in Frankfurt am Main als Fünfzehnjährige auf der Bühne, wo sie als Publikumsliebling gefeiert wird. Zu diesem Zeitpunkt verliebt sich der Dichter Clemens von Brentano unglücklich in sie. Wenig später nimmt der reiche Bankier Willemer sich ihrer an. Marianne wird seine " Ziehtochter", wohnt im Haus des um dreißig Jahre älteren Witwers und erhält, wie dessen leibliche Töchter, eine breitgefächerte Bildung von ausgesuchten Lehrern. Marianne ist intelligent, insofern fällt die Saat auf guten Boden.
Böse Zungen behaupten der Bankier habe das Mädchen ihrer in Not geratenen Mutter abgekauft, aber Willemer ist, wie die Autorin darlegt, ein nachdenklicher, sozial- engagierter, in jeder Beziehung großzügiger Mensch, der sich, neben seinen erfolgreichen Bankgeschäften, u.a. mit Philosophie und Pädagogik befasst und im Rahmen seines sozialen Engagements dafür sorgt, dass alternde Schauspieler einen Anspruch auf Versorgung zugebilligt bekommen. Willemer , der tatkräftige Philantrop, der Marianne kurz vor ihrem dreißigsten Lebensjahr ehelicht, ist auch in dieser Verbindung ein Gebender, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass er sich, als Goethe in Mariannes Leben eintritt, selbstlos zurück nimmt und seiner Gemahlin in jener Zeit unüblichen Handlungsspielraum schenkt.
Als Goethe, fünfundsechzigjährig, während eines Kuraufenthaltes in Wiesbaden seinen Freund Willemer trifft, lernt er Marianne kennen. Bei daraufhin folgenden Besuchen im Hause des Bankiers in Frankfurt lauscht er ihrem Gesang und ist entzückt von ihr. Als er die Willemers ein Jahr später erneut besucht, verlieben sich Goethe und Marianne ineinander. Dies geschieht unmittelbar vor des Dichters sechsundsechzigstem Geburtstag, den er in der " Gerbermühle" , Willemers Landhaus, feiern wird. Unter den zahlreichen Gratulanten des Dichterfürsten, der zu diesen Zeitpunkt bereits " Kultstatus " erreicht hat, zählt u.a. die spätere Königin Luise von Preußen.
Der berühmten Salondame Rahel Varnhagen hingegen gelang es nicht den großen Meister persönlich zu beglückwünschen. Von vielen geliebt, lässt Goethe seinen Blick jetzt in erster Linie auf Marianne ruhen, die ihn zu einer intensiven poetischen Schaffensperiode inspiriert. Das Genie befasst sich momentan intellektuell mit den persischen Dichtern Hafis, Tograi und Tschami und beabsichtigt die " Begegnung und Anerkennung der Kulturen , der Dichtung, der Sprache und Religion zweier unterschiedlicher Kulturkreise " in einem neuen künstlerischen Beitrag zu manifestieren. Davon berichtet er der geistig aufgeschlossenen Marianne und zieht sie in seinen und in den Bann des Divan.
Im Garten der " Gerbermühle " kommt es nicht nur zum Austausch von Zärtlichkeiten zwischen den beiden, sondern hier entsteht der poetische Dialog, in dem er sie " Suleika" und sie ihn " Hatem " nennt. Dieser Dialog wird vier Jahre später als " West-östlicher Divan" veröffentlicht und von da an Gegenstand zahlloser gemanistischer Reflektionen. Marianne ist die einzige Frau in Goethes Leben, die er vom poetischen Niveau her als ebenbürtig betrachtet. Aus diesem Grunde wohl, gehen eine Reihe ihrer Verse in das Werk des Dichters ein, ohne allerdings Frau von Willemer als Urheberin der Verse zu benennen. Ganz offensichtlich wollte er die Dame nicht kompromittieren und sie heiklem Gerede aussetzen.
Erst nach dem Tod Goethes und Johann Jakob von Willemers wird Hermann Grimm, Neffe der Gebrüder Grimm, das Geheimnis lüften und der bis dahin unbekannten Dichterin die ihr gebührende Ehre geben. Marianne lebt zu diesem Zeitpunkt in der Nähe von Goethes Geburtshaus als Gesangslehrerin. Mit Goethe hat sie sich bis kurz vor dessen Ableben geschrieben. Gleichwohl kommt es seit 1815 zu keiner weiteren persönlichen Begegnung mehr, auch wenn Marianne eine solche immer wieder herbeigesehnt hat. So ruht Suleika seither auf dem zarten Polster, das Hatem ihr bereitet und geschmückt...
Ein wirklich lesenswertes Buch, nicht nur für Goethe-Liebhaber !
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