Geschwätzige Winzer produzieren zumeist ebensolche Weine( Scheuermann),
Der Journalist und rennomierte Weinexperte Mario Scheuermann stellt in der hier vorgelegten Sammlung von Essays ( von 1998- bis 2007)intellektuell vielschichtige Betrachtungen zum Thema Wein an, die er in philosophische, historische und literarische Reflexionen einbettet und lässt auf diese Weise per se keine Zweifel aufkommen , dass man edlen Wein nur dann wirklich genießen kann, wenn man dies in einem ihm gebührenden Rahmen unternimmt. Gute Weine bedürfen grundsätzlich eines niveauvollen Tischgespäches!
Wer die feinen Nuancen eines edlen Weines erschmecken möchte, muss seine Geschmacksnerven kultivieren, in genau dem gleichen Maße, wie der Leser eines guten Romans zuvor sein Vokabular kultiviert haben muss, um einen inhaltlich differenzierten, dazu sprachlich exzellenten Text in seiner gesamten Vielfalt zu erfassen. Kultivierung ist ein nicht endender Lernprozess, dem sich zumindest wissbegierige Menschen gerne unterziehen.
Scheuermann stellt im Eingangs-Essay Reflexionen zu Weinen des Chateau Yquem an. Dort hatte er das Vergnügen an einer Verkostung von 125 Sauterne-Jahrgängen teilzunehmen.( Beneidenswert!)
Er lässt den Leser u.a. wissen, dass der 1864er von sehr heller Farbe ist und man ihn aufgrund von seiner erdig-mineralischen Tönung auch für einen betagten Montrachet aus Burgund halten könne. Die unterschiedlichen Geschmacksnuancen der Sauterne-Weine sind in diesem Essay sein primäres Anliegen. So erinnert der 1787 er Yquem an schwarzen Tee, Röstaromen, Kräuterlikör, Karamell und Kandiszucker, der 1811er an Nougat und Mocca, dazu etwa Himbeergeist und Brandy, Puderzucker und Ingwer.
1811 war das Kometenjahr. Scheuermann gedenkt des Untergangs der Grand Armee im russischen Frost. Auch vergisst er nicht, ganz beläufig Goethes "West-östlichen Diwan" zu erwähnen, bevor er sich erneut liebevoll dem sautern`schen Gaumenkitzel sprachlich zuwendet.
Der schreibende Weinkenner plaudert bemerkenswert geistreich. Das stellt der Leser schon nach der Lektüre des ersten Essays fest und wendet sich entzückt den weiteren Beiträgen zu.
Arabische Wissenschaftler haben die Kunst den Alkohol zu destillieren bis nach Europa verbreitet. Scheuermann reflektiert, fast ein wenig irritiert, was wir in Zukunft trinken werden, wenn alkoholfeindliche Islamisten zukünftig das Trinkverhalten von uns Europäern kontrollieren sollten und überlegt ferner welche Konsequenzen das " global warming" für den Weinbau haben wird. Wo wird dann der Riesling angebaut? Im Rheingau sicherlich nicht mehr!
Eine Faustregel für Bordelais-Weine heisst: Gute und sehr gute Jahre treten meist allein oder paarweise auf. Diese Weine versprechen stets Image, Prestige und Qualität und sollen, sofern man sie als großen Wein bezeichnet, in jedem Stadium der Entwicklung anders, aber immer groß sein.
" Garagenweine " sind ein weiters Thema und hier die Wein -Ikone " Chataeu Lafleur" in Pomerol.
Was man unter dem Volksgetränk " piquette" zu verstehen hat und was ein "Muttertropfen" ist, wird nicht länger ein Geheimnis bleiben , wenn man sich in dieses Buch vertieft und man wird ähnlich , wie Scheuermann darüber nachzudenken beginnen, weshalb Weine immer der Spiegel unserer Gesellschaft sind.
- Niemals zuvor ist in deutscher Sprache so viel über Wein geschrieben worden wie heutzutage. Keine Bordzeitschrift , kein buntes Konsumblättchen , keine Discounter-Werbung mehr ohne Weinkolumne und Geheimtipps für Genießer. Auch solche Zeilen haben ihre Autoren: Freaks verströmen ihr Herzblut notfalls zum Nulltarif, Händler empfehlen, was weg muss, Sommeliers schwärmen, um bessere Konditionen zu bekommen.-( Zitat: Scheuermann)
Das muss man wissen und tut gut daran seinem eigenen Gaumen zu vertrauen und ihn ganz allmählich subtil zu kultivieren. Man muss nicht alles glauben, was man schwarz auf weiß nach Hause trägt. Für diesen Gedanken wird man durch den Autor sensiblisiert.
Interessant sind Scheuermanns Verweise auf den Philosophen Michel Onfray und seine Betrachtungen zum Thema Zeit und Geduld, ohne die ein guter Wein nicht sein volles Potenzial darstellen kann.
Philon von Alexandria konstatierte, dass man nur durch " nüchterne Trunkenheit" zur Erkenntnis gelangen vermag. Weinbeschreibungen bedürfen dieser nüchternen Trunkenheit, auch wenn sie gelegentlich technischer Natur sein müssen.
Scheuermann sieht die rasche Abfüllung von angeblichen 100 Punkte-Weinen mit großer Skepsis und wendet sich auch sehr kritisch gegen so genannte Techno-Weine.
Das Terroir ist großes Thema von Scheuermann. Was Baustein des Terroirs sein kann, kann auch im Labor hergestellt werden. So lassen sich die Flintöne des Sancerre und typische Petrolnoten von der Mosel ebenso im Labor immitieren, wie man durch Enzyme und Hefen Aprikosen, Grapefruit und Pfirsicharomen produzieren kann.
Wenn ein Wein wirkliches Terroir offenbaren soll, braucht er Zeit und Geduld, denn es handelt sich bei den Prozessen und Methamorphosen, die notwendig sind, so der Autor, um einen sich immer wieder zu schaffenden Mythos, der eine Botschaft, eine Aussage enthält. Tatsächliche Terroirweine sind ein Zusammenspiel von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Wie authentisch soll einen Wein sein? Wie sehr sollen sich Winzer dem Zeitgeist unterwerfen? Wie intensiv möchten Weintrinker die Botschaft die im Mythos des Terroirweines beinhaltet ist, ermitteln. Welcher Art mag diese Botschaft sein?
Wer sich mit diesen und vielen anderen Fragen näher befassen möchte, wird an den niveauvollen Texten Scheuermanns viel Freude haben.
Empfehlenswert!
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