Berechtigte Lobreden über den "Phantasien-Millionär"
Peter Rüedi beschreibt in seiner Laudatio das "Monstrum an Leidenschaft und Gelehrsamkeit", bei dem er und Urs Widmer studiert haben: Walter Muschg. "Wenn er die Treppe hinunter seinem Hörsaal zuschritt, klang er wie der Komtur. Und dann sprach er wie ein Prophet, ein lodernder Mensch, der mit den Wörtern ringend versuchte, dem glühenden Kern jenes Vulkans nahe zu kommen, in dem die Dichtung kocht. Rüedi beschreibt Muschg als begeistert, aber auch ungerecht, er hasste Thomas Mann, Gottfried Benn und Robert Walser nahm er kaum zur Kenntnis.
Vor dieser "Herkunft" skizzieren die Beiträge dieses Buches eine umfassende Erklärungs-Schau für Urs Widmer, der den schönsten Muschg-Satz gerne wiederholte: "Der wunderbarste Glanz eines Meisterwerkes ist der Schmerz, der nicht mehr schmerzt." Genau hier treffen sich Literatur und Psychoanalyse, denn Benennung ist Bannung! Urs Widmer ist verheiratet mit einer Psychoanalytikerin und lebt heute (nach langer Zeit in Frankfurt am Main) wieder in der Schweiz.
Rüedi sagt treffend: "wenn Urs Widmer seinen ganzen Verbalvitalismus mobilisiert, können wir Gift darauf nehmen, dass wir uns Tabuzonen nähern, fragilen Gefühlen, Ängsten, Ahnungen, Erinnerungen. Seine Texte bedeuten nicht, sie sind." Aus den wirklich lesenswerten Lobreden erfährt man unendlich Vieles aus dem Verständnis Widmers, seiner Herkunft und Suche. Thomas Sprecher sagte in der Laudatio zum Bertolt-Brecht-Preis: "Urs Widmer gehört nicht zu den Satten, sondern zu den Suchenden. Seine ganze Dichtung ist auf der Suche. Sie ist immer neue Rehabilitierung der Phantasie. Widmer überwindet die Gravitationsgesetzte des Alltags."
In einem abschließenden Interview erzählt Widmer, dass er alle Gattungen der Literatur gleich schätzt, bis auf die Lyrik. Kein einziges gutes Gedicht habe er zustande gebracht. Widmer denkt politisch, seine Theaterstücke sind aggressiv, wütend und direkt. Sie sezieren unsere Gesellschaft (wie "Top Dogs" bswp., in dem geschasste Ex-Manager ihr Leben wieder in den Griff bekommen sollen), während seine Prosa die narzisstisch getönte Möglichkeit beinhaltet, einsam am Schreibtisch Gott spielen zu können. Daniel Keel schreibt ihm in seinem Geburtstagsgruß 2008: "Als Lektor hattest Du jahrelang Gelegenheit, zu beobachten, wie unser schönes Hochdeutsch unaufhaltsam zu einem Donald-Duck-Slang degeneriert ist. Aus diesem Slang aber hast Du dann den unverwechselbaren Urs-Widmer-Sound destilliert."
Ein umfassendes Buch, in dem sich alle Hintergründe und Entwicklungslinien des Urs Widmer offenlegen.
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